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Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich – Generalanwalt empfiehlt Verurteilung

2 Minuten Lesezeit

Ein öffentlicher Auftraggeber schloss ohne Vergabeverfahren einen Mietvertrag für seine neue Unternehmenszentrale ab. Erst im Anschluss errichtete der Vermieter das Gebäude. Liegt ein Bauauftrag vor? Der Generalanwalt schließt sich der Europäischen Kommission an und bejaht die Ausschreibungspflicht. Das Gebäude sei entsprechend den Vorgaben der Auftraggeberin errichtet worden.

Rechtlicher Kontext

Mietverträge sind gemäß § 9 Abs 1 Z 10 BVergG vom Anwendungsbereich des BVergG grundsätzlich ausgenommen (vgl Art 10 Vergaberichtlinie 2014/24/EU). Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind allerdings Mietverträge als Bauauftrag einzustufen und nicht unter die Ausnahme nach Z 10 zu subsumieren, wenn der Vertragspartner das vermietete Gebäude erst errichtet – und zwar nach den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen (siehe auch § 5 Z 3 BVergG: „Bauleistung durch Dritte“). Auch bei Verträgen über Standardimmobilien, wie z.B. Bürogebäuden, ist zu prüfen, ob der Auftraggeber in die Planung eingebunden ist bzw. ob Sonderwünsche bei der Ausführung übermäßig berücksichtigt werden. Ein von der EuGH-Rechtsprechung zu berücksichtigender Umstand ist ferner die Frage, ob bei Vertragsabschluss mit der Errichtung des Gebäudes bereits begonnen wurde.

Ausgangssachverhalt

Die öffentliche Auftraggeberin beschloss im Rahmen der strategischen Neuausrichtung den Umzug in eine einzige Unternehmenszentrale für mindestens 750 MitarbeiterInnen. Im Mai 2012 unterzeichnete sie einen Mietvertrag; das Gebäude befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in Planung. Ende 2014 wurde das Gebäude fertiggestellt.

Die Europäische Kommission leitete im Jahr 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich ein. Obwohl die Parteien einen Mietvertrag abgeschlossen hatten, handle es sich in Wirklichkeit aufgrund des entscheidenden Einflusses der Auftraggeberin auf die Projektausführung um einen Bauauftrag, der im Rahmen eines Vergabeverfahrens zu vergeben gewesen wäre.

Der zuständige Generalanwalt Manuel Campos Sánches-Bordona veröffentlichte kürzlich seinen Vorschlag für ein Urteil (Schlussanträge). Zwar ist der EuGH an diese Vorschläge nicht gebunden, in ca 3/4 aller Fälle folgt er allerdings den Vorschlägen des Generalanwalts.

Empfehlung des Generalanwalts

Die Auftraggeberin sei an der Planung und Ausführung des Bauprojekts maßgeblich beteiligt gewesen, um es an ihre Anforderungen anzupassen. Begründend führte der Generalanwalt aus, dass bei Vertragsschluss im Mai 2012 mit dem Bau noch nicht begonnen worden sei und darüber hinaus noch nicht mal eine Baubewilligung für das konkrete Projekt bestanden habe. Die Auftraggeberin hätte tatsächlich die endgültige Struktur des Projekts mitbestimmt, da die im Vertrag eingeräumte Option zur Errichtung weiterer Stockwerke und der Errichtung einer Brücke zwischen den Gebäudeteilen auch ausgeübt wurde. Die in der Ergänzung zum Mietvertrag angeführten Spezifikationen für den Bau seien darüber hinaus so detailliert und die Rolle der Auftraggeberin so bedeutend, dass sie über das hinausgehen würden, was üblicherweise zwischen einem Vermieter und Mieter vereinbart wird.

Der Generalanwalt unterstützt im Ergebnis die Klage der Kommission und schlägt dem Gerichtshof vor, die Vertragsverletzung der Republik Österreich festzustellen.

Fazit

Die Empfehlung des Generalanwalts reiht sich in die bisherige Rechtsprechung des EuGH zur Abgrenzung zwischen Mietverträgen und Bauaufträgen ein.

Schlussantrag des Generalanwalts vom 22.10.2020, C 537/19 Europäische Kommission gegen Republik Österreich