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EuGH segnet Mietvertrag mit der Stadt Wien zu „Gate 2“ als vergabekonform ab

3 Minuten Lesezeit

Für viele überraschend hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 22.04.2021 in einem von der Europäischen Kommission gegen Österreich geführten Vertragsverletzungsverfahren die ausschreibungsfreie Anmietung von Räumlichkeiten im Bürogebäude „Gate 2“ durch die Stadt Wien – Wiener Wohnen (Wiener Wohnen) für vergaberechtskonform befunden

Die Kommission hatte den Vorwurf erhoben, dass das Gebäude, das erst nach Unterzeichnung des Mietvertrags durch Wiener Wohnen errichtet worden war, nach den Bedürfnissen von Wiener Wohnen gestaltet worden wäre, weshalb eigentlich ein ausschreibungspflichtiger Bauauftrag vorgelegen habe. Der EuGH hielt diese Vorwürfe für nicht stichhaltig.

Entscheidung des EuGH in der Rs C-537/19

Im Kern ging es in diesem Verfahren um die Frage, ob sich Wiener Wohnen bei der vergabefreien Anmietung von Räumen im Gebäudekomplex Gate-2 berechtigter Weise darauf berufen durfte, dass nach dem (damals geltenden) § 10 Z 8 BVergG 2006 Verträge über die Miete von Grundstücken oder vorhandenen Gebäuden nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen.

In seiner Entscheidung weist der EuGH zunächst darauf hin, dass allein der Umstand, dass die anzumietenden Räumlichkeiten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht errichtet waren, einer Berufung auf den betreffenden Ausnahmetatbestand noch nicht entgegensteht. Aus den unionsrechtlichen Vorgaben zu dieser Ausnahme (24. ErwGrRL 2004/18, wonach Mietverträge über unbewegliches Vermögen oder Rechten daran, Merkmale aufweisen, „die die Anwendung von Vorschriften über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen unangemessen erscheinen lassen“), leitet der EuGH ab, dass sich diese Ausnahme auch auf die Miete nicht vorhandener, dh noch nicht errichteter Gebäude erstrecken kann.

Eine Berufung auf den Ausnahmetatbestand kommt nach Ansicht des EuGH nur dann nicht in Betracht, wenn die Errichtung des geplanten Bauwerks einen öffentlichen Bauauftrag darstellt, weil diese Errichtung den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen entspricht. Dies sei dann der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung festzulegen oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf die Planung der Bauleistung zu nehmen; ebenso, wenn die vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Spezifikationen über die üblichen Vorgaben eines Mieters für eine Immobilie hinausgehen.
Ein entscheidender Einfluss auf die Gestaltung eines Bauwerks liegt nach Ansicht des EuGH dann vor, wenn dieser Einfluss „auf die architektonische Struktur dieses Gebäudes wie seine Größe, seine Außenwände und seine tragenden Wände ausgeübt wird. Anforderungen, die die Gebäudeeinteilung betreffen können, nur dann als Beleg für einen entscheidenden Einfluss angesehen werden, wenn sie sich aufgrund ihrer Eigenart oder ihres Umfangs abheben“.

Vor diesem Hintergrund prüft der EuGH in der Folge jene Aspekte, zu denen die Kommission vorgebracht hatte, Wiener Wohnen habe damit entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Bauwerks genommen. Adaptierungen des Objektes (etwa die Errichtung weiterer Obergeschosse oder von Verbindungsbrücken zwischen zwei Bauteilen) waren nach Ansicht des EuGH schon vor Abschluss des Mietvertrags mit Wiener Wohnen optional eingeplant gewesen, weshalb Wiener Wohnen lediglich von einem im eingeräumten Recht zur Anmietung Gebrauch gemacht hat, was dann zur Errichtung dieser Bauteile geführt hat. Dass im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags noch keine Baugenehmigung vorgelegen hatte, bedeutet nach Ansicht des EuGH ebenfalls nicht, dass das Bauwerk bei Vertragsabschluss nicht schon – zumindest dem Grunde nach – fertig geplant gewesen ist. Sowohl die Laufzeit des Mietvertrages (unbefristet mit Kündigungsverzicht von zunächst 25 Jahren) als auch der Umstand, dass Wiener Wohnen den Baufortschritt durch eine begleitende Kontrolle genau überwacht hat (um – so das Vorbringen – im Fall von Bauverzögerungen zeitgerecht Maßnahmen, wie etwa die Verlängerung von Mietverträgen in bislang genutzten Gebäuden, setzen zu können) erachtet der EuGH nicht als bei derartigen Mietverträgen unüblich.

Auch sonstige Anforderungen und gewünschte Spezifikationen von Wiener Wohnen gingen nach Ansicht des EuGH nicht über das hinaus, was der Mieter eines Gebäudes wie der Gate 2-Immobilie üblicherweise verlangen kann. Schließlich war auch erkennbar, dass das in Rede stehende Gebäude so geplant wurde, dass Vorkehrungen für eine (rasche) Neuvermietbarkeit der Räumlichkeiten nach einem allfälligen (Teil-) Auszug von Wiener Wohnen getroffen wurden.
Da sich sämtliche von der Kommission erhobenen Vorwürfe damit nicht erhärtet haben, weist der EuGH die Klage ab.

Bewertung

Die vorliegende Entscheidung des EuGH ist zunächst deshalb bemerkenswert, weil sie sehr genaue Leitlinien dafür vorgibt, wann ein „entscheidender Einfluss“ eines öffentlichen Auftraggebers auf die Errichtung eines Bauwerks anzunehmen ist. Der EuGH unterscheidet grundsätzlich zwei Aspekte (vgl. Rs C-537/19 Rz 53):

  • Zum einen kann ein solcher entscheidender Einfluss auf die Gestaltung des Gebäudes vorliegen, wenn der öffentliche Auftraggeber Einfluss auf die architektonische Gestaltung des Gebäudes, wie seine Größe, seine Außenwände und seine tragenden Wände ausgeübt hat.
  • Zum anderen kann ein entscheidender Einfluss auch dann vorliegen, wenn Anforderungen, die an die Gebäudeeinteilung gestellt werden, sich aufgrund ihrer Eigenwart oder ihres Umfangs abheben.

Zu den „Äußerlichkeiten“ des Gebäudes, auf die die Kommission eine Einflussnahme von Wiener Wohnen behauptet hatte (Brücke und OG 6 – 8), hat der EuGH im Wesentlichen nur darauf hingewiesen, dass deren Errichtung schon vor Involvierung von Wiener Wohnen optional geplant gewesen war. Mit seiner sehr detaillierten Auseinandersetzung zu den sonstigen Anforderungen und Spezifikationen bzw anderen Inhalten des Mietvertrages hat der EuGH in der Folge eine recht genaue Anleitung dafür gegeben, was zulässigerweise zwischen einem Vermieter und einem öffentlichen Auftraggeber in einem Mietvertrag vereinbart werden darf, ohne dass die Gefahr besteht, dass der Vertragsabschluss als vergabepflichtiger Vorgang einer Ausschreibungspflicht unterworfen ist.

Insoweit bringt das vorliegende Urteil sicher ein Stück weit Rechtssicherheit für die häufig gestellte Frage, wie weit öffentliche Auftraggeber in Mietverträgen Einfluss auf die (Um-) Gestaltung des Mietobjektes nehmen dürfen, ohne mit dem Vergaberecht in Konflikt zu geraten.