Wann dürfen beschleunigte Verfahren durchgeführt werden?
Ob Pandemie, dringende Hilfeleistung oder Waldbrand: Auch in Krisenzeiten ist das Vergaberecht anwendbar und sieht für diese Ausnahmesituationen gewisse Erleichterungen für Beschaffungsprozesse vor. Auftraggeber haben bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Möglichkeit, die Teilnahmeantrags- und Angebotsfristen zu verkürzen oder ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durchzuführen.
Beschleunigung des Verfahrens: Verkürzung der Angebots- und Teilnahmefristen
Im offenen Verfahren, im nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung sowie im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung können öffentliche Auftraggeber verkürzte Angebots- und Teilnahmefristen festlegen, wenn die Einhaltung der regulären Fristen wegen Dringlichkeit unmöglich ist. Dringliche Gründe sind solche, die für öffentlichen Auftraggeber weder vorhersehbar noch beinflussbar sind und nicht von ihnen verursacht wurden.
Im Oberschwellenbereich können folgende verkürzte Fristen festgelegt werden:
- im offenen Verfahren eine Angebotsfrist von mindestens 15 Tagen (statt 30 Tagen)
- im nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung und im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung eine Teilnahmeantragsfrist von mindestens 15 Tagen (statt 30 Tagen) und eine Angebotsfrist von mindestens 10 Tagen (statt 25 Tagen bei zentralen öffentlichen Auftraggebern wie den Bundesministerien; für nicht zentrale Auftraggeber beträgt die reguläre Mindestangebotsfrist 10 Tage).
Im Unterschwellenbereich gibt es keine Mindestvorgaben für verkürzte Fristen. Öffentliche Auftraggeber haben jedoch bei deren Festlegung die Grundsätze für die Bemessung von Fristen einzuhalten. Das bedeutet, dass auch bei Vorliegen dringlicher Gründe den Bewerbern und Bietern hinreichend Zeit zur Erstellung des Teilnahmeantrags oder des Angebots verbleiben muss. In diesem Zusammenhang ist etwa die Komplexität des Leistungsgegenstandes zu berücksichtigen. Die Gründe für eine Verkürzung der Fristen sind von öffentlichen Auftraggebern schriftlich zu dokumentieren.
Eine Verkürzung der Angebots- und Teilnahmefristen in bereits laufenden Vergabeverfahren ist übrigens nicht zulässig. Auftraggeber sind an die Vorschriften des einmal gewählten Verfahrens bis zur endgültigen Vergabe gebunden.
Wenn eine Verkürzung der Fristen nicht ausreicht: Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung
Wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe selbst die Einhaltung der verkürzten Fristen nicht zulassen, können öffentliche Auftraggeber ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durchführen. Diese Verfahrensart darf jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen durchgeführt werden und deren Wahl muss im Vergabevermerk begründet werden. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt werden:
- Vorliegen eines unvorhersehbaren Ereignisses: Unvorhersehbar sind Ereignisse, die den üblichen Rahmen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens sprengen und die in der Praxis als „höhere Gewalt“ bezeichnet werden. Das sind zum Beispiel nicht jährlich auftretende Naturkatastrophen, Waldbrände bzw. Ereignisse, die dringende Lieferungen für Hilfeleistung und/oder Opferschutz erfordern. Das bloße Vorschreiben von Fristen in einem Genehmigungsverfahren durch eine Behörde ist jedenfalls kein unvorhersehbares Ereignis.
- Vorliegen äußerst dringlicher, zwingender Gründe: Derartige Gründe liegen etwa dann vor, wenn wichtige Rechtsgüter wie Leib und Leben beeinträchtigt werden, wie etwa eine Pandemie oder ein bevorstehender Terrorakt. Die Dringlichkeit geht über die dringlichen Gründe bei beschleunigten Verfahren hinaus, insbesondere muss die Einhaltung der (verkürzten) Fristen unmöglich sein. Die äußerst dringlichen zwingenden Gründe dürfen darüber hinaus nicht den Auftraggebern zuzuschreiben sein (etwa weil dieser mit dem Beginn einer Beschaffung zu lange gewartet hat).
- Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem unvorhersehbaren Ereignis und den sich daraus ergebenden äußerst dringlichen zwingenden Gründen.
Durch ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung können dringende Bedürfnisse kurzfristig gedeckt werden bis eine langfristige Lösung gefunden wird. Mit anderen Worten darf mit diesem Ausnahmeverfahren nur jene Menge an Waren bzw. Leistungen beschafft werden, die aufgrund der konkreten Krisensituation unbedingt erforderlich sind.