Auftraggeber sind an Ausschreibungsunterlagen gebunden
Was passiert, wenn in den Ausschreibungsunterlagen Beispiele genannt werden, bei deren Vorliegen die vorgeschriebenen Mindestanforderungen als erfüllt gelten, diese aber tatsächlich nicht erfüllen? Der VwGH entschied, dass Auftraggeber jedenfalls an ihre Ausschreibungsunterlagen gebunden sind und ein Angebot nicht aus dem Grund ausschließen dürfen, dass das von ihnen beispielhaft genannten Produkte den Mindestanforderungen tatsächlich nicht genügen.
Wann überprüft der VwGH die Auslegung von Ausschreibungsunterlagen?
Der VwGH hat öfter wiederholt, dass er keine einzelfallbezogene Auslegung von Ausschreibungsunterlagen überprüft, solange sie vertretbar ist, weil sie keine „grundsätzliche Rechtsfrage“ bildet. Außerdem habe die vertretbare Auslegung keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung.
Davon gibt es aber eine Ausnahme: wenn dem Verwaltungsgericht eine „krasse Fehlbeurteilung“ unterlaufen ist.
Auftraggeber müssen das Angebot am Maßstab der Ausschreibungsunterlagen bewerten
In einem offenen Verfahren zur Vergabe eines Lieferauftrags über Beatmungsgeräte legte die Auftraggeberin fest, dass das Produkt die Mindestanforderung „Proportionale Druckunterstützung“ erfüllen muss. In einer Fragebeantwortung sagte sie ausdrücklich, dass die Mindestanforderung zum Beispiel durch die Funktion „IntelliSync+“ als erfüllt gilt. Daraufhin legte die Bieterin ein Angebot über Beatmungsgeräte, die die Funktion „IntelliSync+“ enthielten.
Die Auftraggeberin hatte in der Zwischenzeit aber durch einen Sachverständigen erfahren, dass diese Funktion die gewünschten Mindestanforderungen tatsächlich nicht erfüllt. Der Auftraggeber schied daher das Angebot nach einem Aufklärungsersuchen mit der Begründung aus, dass die Mindestanforderung „Proportionale Druckunterstützung“ nicht erfüllt war.
In einem Nachprüfungsverfahren gab das Verwaltungsgericht der Auftraggeberin recht. Die Festlegung, wonach mit der Funktion „IntelliSync+“ die Anforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ als erfüllt gelte, bedeute nicht, dass die Auftraggeberin nicht die Anforderungen an das Vorliegen einer „proportionalen Druckunterstützung“ prüfen könne. Daraufhin brachte die Bieterin eine Revision beim VwGH ein.
Im konkreten Fall befand der VwGH, dass dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen ist und hob dessen Entscheidung auf.
Durch die Fragebeantwortung brachte die Auftraggeberin nämlich klar zum Ausdruck, dass ein angebotenes Produkt mit dieser Funktion jedenfalls die betreffende Anforderung der Ausschreibung erfüllt, sodass die teilnehmenden Bieter dies bei Angebotslegung voraussetzen durften. Das Angebot hätte daher nicht aus dem Grund ausgeschieden werden dürfen, dass es die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ nicht erfülle.