Technische Spezifikationen als Mindestanforderungen bei Auftragsvergaben
Auftraggeber tragen gegenüber der Allgemeinheit die Verantwortung dafür, dass die von ihnen beschafften Leistungen einwandfrei funktionieren. Sie können daher festlegen, welche technischen Standards die zu vergebenden Leistungen erfüllen müssen und entsprechende Spezifikationen festlegen. Technische Spezifikationen beschreiben die für die Leistung geforderten Merkmale und müssen Teil jeder Leistungsbeschreibung sein.
Zusammenhängend und verhältnismäßig
Technische Spezifikationen müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und verhältnismäßig zur geforderten Leistung sein. Sie müssen jedoch nicht zwingend Bestandteil der materiellen Leistung sein, sondern können sich auch auf den Produktionsprozess oder die Produktionsmethode beziehen (z.B. Stromerzeugung durch erneuerbare Energieträger). Darüber hinaus können technische Spezifikationen auch soziale – z.B. Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen oder Frauen – oder umweltbezogene – z.B. Vermeidung von Abfall oder Energieeffizienz – Aspekte enthalten.
Beispiele: Umwelt‑ und Klimaleistungsstufen, Konformitätsbewertung, Performance, Sicherheit, Abmessungen, Verpackung, Kennzeichnung, Beschriftung, Gebrauchsanleitungen, Produktionsprozesse und -methoden. Bei Bauaufträgen zusätzlich z.B. Versuchs- und Prüfmethoden, Qualitätssicherungsverfahren, Vorschriften für die Planung und Kostenrechnung, die Bedingungen für die Prüfung, Inspektion und Abnahme von Bauwerken, die Konstruktionsmethoden oder -verfahren.
Barrierefreiheit
Technische Spezifikationen müssen allen interessierten Unternehmern den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewähren und dürfen den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern. Bei der Festlegung von technischen Spezifikationen für Leistungen, die von natürlichen Personen genutzt werden sollen, ist überdies die Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Dies gilt nicht, wenn eine Nutzung der Leistung durch Menschen mit Behinderung nicht zu erwarten ist oder wenn eine behindertengerechte Ausgestaltung unverhältnismäßig wäre. Die Vorgaben zu technischen Spezifikationen sind grundsätzlich unabhängig vom Schwellenwert oder der Verfahrensart zu beachten. Bei der Vergabe besonderer Dienstleistungsaufträge besteht jedoch keine Pflicht zur Berücksichtigung der Barrierefreiheit bei der Festlegung technischer Spezifikationen.
Die Arten der technischen Spezifikationen
Die Merkmale der nachgefragten Leistung können auf verschiedene Arten beschrieben werden:
- Normen (ÖNORMEN, ISO etc.): Ziehen öffentliche Auftraggeber zur Festlegung der technischen Spezifikationen Normen heran, müssen sie sich an die in § 106 Abs 2 Z 1 BVergG 2018 festgelegte hierarchische Reihenfolge halten. Eine untergeordnete Kategorie darf nur dann gewählt werden, wenn keine höherrangige technische Spezifikation existiert. Nationale Normen, mit denen europäische Normen umgesetzt werden, stehen dabei ganz oben. Beziehen sich öffentliche Auftraggeber auf Normen, müssen sie jedenfalls immer den Zusatz „oder gleichwertig“ anführen.
- Leistungs- oder Funktionsanforderungen: Die Festlegung technischer Spezifikationen anhand von Leistungs- oder Funktionsanforderungen in einer funktionalen Leistungsbeschreibung eignet sich z.B. dann, wenn öffentliche Auftraggeber auf der Suche nach innovativen Lösungen sind, jedoch den Weg zur Erreichung dieser Lösungen nicht kennen.
- Leistungs- oder Funktionsanforderungen unter Bezugnahme auf Normen als Konformitätshinweis: Leistungs- oder Funktionsanforderungen können auch mit Normen kombiniert bzw. ergänzt werden. Werden die Normen eingehalten, wird davon ausgegangen, dass die Leistungs- und Funktionsanforderungen erfüllt werden.
- Gemischte Festlegung: Bei gemischten Festlegungen werden Teile der technischen Spezifikation mittels Normen und andere Teile mittels Leistungs- oder Funktionsanforderungen festgelegt.
Grundsatz: Produktneutralität
Öffentliche Auftraggeber dürfen bei der Festlegung der technischen Spezifikationen nur in Ausnahmefällen auf eine bestimmte Herstellung, Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die von einem bestimmten Unternehmer bereitgestellten Produkte oder Dienstleistungen charakterisiert, verweisen. Ebenso wenig darf auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden. Es besteht nämlich die Gefahr, dass dadurch bestimmte Unternehmer oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden.
Eine Leistungsbeschreibung darf ausnahmsweise dann produktspezifisch sein, wenn es durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist. Das ist dann der Fall, wenn der Auftragsgegenstand ansonsten nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann.
Als Beispiel kann die Erweiterung oder Instandhaltung eines bestehenden technischen Systems angeführt werden, wenn das zugrundliegende System bereits Gegenstand einer öffentlichen Ausschreibung war. Dabei wird berücksichtigt, ob das Beibehalten des ursprünglichen Systems sachlich gerechtfertigt ist, also ob ausreichend wirtschaftliche, nachhaltige, umweltbezogene oder sicherheitsbezogene Gründe dafürsprechen.
Beziehen sich öffentliche Auftraggeber in ihren technischen Spezifikationen auf bestimmte Produkte oder Verfahren, muss ausnahmslos der Zusatz „oder gleichwertig“ neben der Spezifikation stehen. Darüber hinaus sind in diesen Fällen in den Leistungsverzeichnissen sogenannte „unechte Bieterlücken“ vorzusehen. Bieter können ihre alternativen Erzeugnisse in diesen freien Zeilen des Leistungsverzeichnisses angeben.
Wird lediglich ein Preis eingetragen, gilt das vom öffentlichen Auftraggeber vorgegebene „Leitprodukt“ als angeboten (im Gegensatz dazu müssen Bieter bei „echten Bieterlücken“ jedenfalls auch ein konkretes Produkt anbieten). Die Gleichwertigkeit der angebotenen Leistung ist bereits im Angebot – beispielsweise durch Testberichte oder Zertifizierungen – nachzuweisen.