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Coronavirus und Vergaberecht

4 Minuten Lesezeit

Das Coronavirus macht auch vor dem Vergaberecht nicht halt. Wie Auftraggeber und Bieter sich auf die nächsten Wochen vorbereiten können und was Sie vergaberechtlich wissen müssen.

Organisatorische Maßnahmen

Als öffentlicher Auftraggeber sollten Sie beachten:

  • Stellen Sie sicher, dass die Abwicklung Ihrer Vergabeverfahren auch dann reibungslos weiterläuft, wenn die befassten Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten. Die Mitarbeiter müssen insb über einen Internetzugang und die erforderlichen Zugangsdaten zur eVergabe-Plattform verfügen.
  • Ggf. kann die Verschiebung von Hearings und Verhandlungen erforderlich sein. Angebotsbindefristen sollten daher vorsorglich etwas länger festgelegt werden.
  • Sehen Sie Maßnahmen vor, um die Durchführung von Hearings oder Verhandlungen über Videokonferenzen (etwa Skype) abwickeln zu können.
  • Sofern nicht ohnehin in Ihrer Organisation üblich: Wickeln Sie auch im Unterschwellenbereich Vergaben über eVergabe-Plattformen ab.

Als Bieter/Auftragnehmer sollten Sie beachten:

  • Stellen Sie sicher, dass trotz Krankheitsfällen oder Homeoffice-Regelungen die fristgerechte Abgabe von Angeboten oder Teilnahmeanträgen gewährleistet ist. Bereiten Sie auch entsprechende Handlungsvollmachten für die Vornahme von Rechtshandlungen iZm der Angebotsabgabe, insb zur elektronischen Signatur des Angebots oder Teilnahmeantrags, vor.
  • Stellen Sie sicher, dass die für die Angebotsabgabe erforderlichen Unterlagen digital verfügbar sind und dass auch ein Zugriff auf diese von zu Hause möglich ist.
  • Sollten Lieferengpässe oder Unterbrechungen der Lieferketten drohen, achten Sie auf die Einhaltung von vertraglichen Informationspflichten gegenüber Ihrem Auftraggeber. Werfen Sie dazu einen Blick in den Leistungsvertrag!

Ausnahmesituation Coronavirus – Welche Spielräume bietet das Vergaberecht?

Schnelle Beschaffung bei kurzfristigem Bedarf – Fristverkürzung und Notvergabe
Kann der öffentliche Auftraggeber die vorgesehenen Mindestfristen für die Abgabe von Teilnahmeanträgen bzw. Angeboten aus dringlichen Gründen nicht einhalten, können diese verkürzt werden. So kann bei einem offenen Verfahren die Angebotsfrist von mindestens 30 Tage auf mindestens 15 Tage verkürzt werden.

Kann der Auftraggeber trotz Fristverkürzung die Leistungen nicht zeitgerecht mit einem „normalen“ Vergabeverfahren beschaffen, ist eine zwingend erforderliche Beschaffung aus „äußerst dringlichen Gründen“ ohne öffentliche Ausschreibung zulässig – auch wenn die Direktvergabegrenze von EUR 100.000 erreicht oder überschritten wird (ua EuGH Kommission/Spanien). Dies erfolgt im Rahmen der Abwicklung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung.

Voraussetzung für die Fristverkürzung und die Durchführung einer „Notvergabe“ ist, dass die Umstände dafür nicht dem Verhalten des Auftraggebers zuzurechnen sind und für diesen nicht vorhersehbar waren. Umstände, die den Rahmen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens sprengen, z.B. Naturkatastrophen aber auch Epidemien wie das Coronavirus, können jedenfalls im Einzelfall die Dringlichkeit für solche Maßnahmen begründen.

Für massive Notfälle bietet außerdem § 9 Abs 1 Z 3 BVergG einen Ausnahmetatbestand: Vergabeverfahren sind vom BVergG ausgenommen, wenn sie dem Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen der Republik Österreich dienen, sofern dieser nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewährleistet werden kann. Laut Gesetzesmaterialien muss es sich dabei um den Schutz von Sicherheitsinteressen handeln, die auf den Bestand oder das Funktionieren der Republik Österreich fundamentale Auswirkungen haben. Zu denken wäre etwa an dringliche Maßnahmen zur Verhinderung des Ausbruchs von öffentlicher Panik oder öffentlichen Unruhen aufgrund der Coronavirus-Pandemie.

Notfallmaßnahmen während des Vergabeverfahrens

  • Angebotsfrist verlängern: Sind aufgrund der derzeitigen Lage zusätzliche Informationen für die Teilnehmer am Vergabeverfahren erforderlich, die für die Erstellung des Angebots wesentlich sind, ist die Angebotsfrist entsprechend zu verlängern. Auch sonst kann die Coronavirus-Krise eine taugliche sachliche Rechtfertigung für die Verlängerung der Angebotsfrist bieten.
  • Adaptierung der Ausschreibungsunterlagen: z.B. Aussetzen von Konventionalstrafen bei Lieferfristverzögerungen infolge von Lieferengpässen, die auf nicht vom Auftragnehmer zu vertretende außergewöhnliche Umstände (wie im Falle von Corona) zurückzuführen sind. Denken Sie auch an die Durchführung von Berichtigungen der Ausschreibung.
  • Widerruf des Vergabeverfahrens: Es besteht keine Pflicht des Auftraggebers, einen Auftrag auch tatsächlich zu vergeben. Das Vergabeverfahren kann vom Auftraggeber widerrufen werden, wenn der Auftraggeber die Leistungen nicht mehr benötigt, die budgetäre Deckung etwa aufgrund unvorhersehbarer Verwendung für andere Sicherheitsmaßnahmen nachträglich wegfällt oder sich die Bieteranzahl bzw Bieterstruktur wesentlich ändert, weil zB aufgrund der Lieferengpässe sich alle Bieter zu einer Bietergemeinschaft zusammenschließen oder überhaupt kein Angebot mehr gelegt wird.

Dürfen italienische Bieter vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden?
Ein automatischer Ausschluss ist nicht möglich, das würde eine unzulässige Diskriminierung darstellen. Es wird aber Fälle geben, in denen Zweifel an der Leistungsfähigkeit bzw. der Fähigkeit zur Erfüllung der Leistungsanforderungen durch italienische Bieter bestehen, die zu einem Ausschluss führen können. Den italienischen Bietern ist jedenfalls die Möglichkeit zur Aufklärung zu geben.

Auswirkung des Coronavirus auf bestehende Verträge

Möglichkeiten von Auftraggebern und Auftragnehmern bei Lieferengpässen
Nach Abschluss des Vergabeverfahrens gelten die allgemeinen vertraglichen und zivilrechtlichen Bestimmungen. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang insb. etwaig vereinbarte Pönalen bei Lieferverzug, aber auch ob es Kündigungsmöglichkeiten gibt. Beachten Sie u.U. vereinbarte Informationspflichten!

Bedarf an Leistungen erhöht sich – was zu beachten ist:
§ 365 BVergG bildet die Grundlage für die Inanspruchnahme zusätzlicher Leistungen. Erhöht sich der Bedarf aufgrund der Coronavirus-Krise um maximal 10 % (bei Bauaufträgen 15 %) der ursprünglichen Auftragssumme und werden die Schwellenwerte nicht überschritten, ist kein neues Vergabeverfahren durchzuführen, weil eine bloß unwesentliche Vertragsänderung vorliegt.

Darüber hinaus muss der Auftraggeber auch dann kein neues Vergabeverfahren durchführen, wenn infolge der Coronavirus-Krise zusätzliche Leistungen erforderlich sind, die nicht in den ursprünglichen Ausschreibungsunterlagen vorgesehen waren und ein Wechsel des Auftragnehmers aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht erfolgen kann oder aufgrund unvorhersehbarer Gründe notwendig sind und der Gesamtcharakter des Vertrags nicht verändert wird. Zu beachten ist, dass die zusätzlich erforderlichen Leistungen 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags nicht übersteigen dürfen. Vor diesem Hintergrund muss im Einzelfall geprüft werden, auf welche unwesentliche Vertragsänderung sich der Auftraggeber stützen kann.

Sind Vertragsverlängerungen zulässig?
Wenn die Coronavirus-Krise zur Verzögerung von laufenden Vergabeverfahren führt, kann die Verlängerung der Laufzeit bestehender Verträge erforderlich werden. Dies ist vergaberechtlich zulässig, solange die Verlängerung keine wesentliche Vertragsänderung im Sinne des § 365 BVergG bewirkt. Eine Verlängerung im Ausmaß der de-minimis-Grenze von 10 % (bei Bauaufträgen 15 %) der ursprünglichen Auftragssumme ist jedenfalls zulässig. Die Umwandlung eines befristeten Vertrags in einen unbefristeten würde hingegen zu weit gehen.