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Auswirkungen des COVID-Fristengesetzes auf Vergabeverfahren

1. Die neue Rechtslage und ihre Auswirkungen auf Vergabeverfahren

Mit Beschluss vom Freitag, 20.03.2020, hat der Nationalrat ein Gesetz über „Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes“ beschlossen. Gemäß § 1 Abs 1 dieses Gesetzes werden in anhängigen behördlichen Verfahren der Verwaltungsbehörden, auf die die Verwaltungsverfahrensgesetze anzuwenden sind, alle Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (BGBl I 16/2020 trat am 22.03.2020 in Kraft) fällt, sowie Fristen, die bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht abgelaufen sind, bis zum Ablauf des 30.04.2020 unterbrochen. Sie beginnen mit 01.05.2020 neu zu laufen. Diese Bestimmung ist gemäß § 6 Abs 1 COVID-Fristengesetz auch auf das Verfahren der Verwaltungsgerichte anzuwenden, wenn auf das jeweilige Verfahren zumindest auch das AVG anzuwenden ist. Damit sind auch Nachprüfungs- und Feststellungsverfahren vor den Verwaltungsgerichten von dieser Regelung erfasst. Immerhin haben die Verwaltungsgerichte in diesen Verfahren gemäß § 17 VwGVG subsidiär das AVG anzuwenden.

Was bedeutet die neue Fristenregelung daher für Vergabeverfahren?

  • Anwendung nur auf Verfahrensfristen, nicht auf vom Auftraggeber festgelegte Fristen
    Zunächst ist festzuhalten, dass die gesetzliche Anordnung nur für behördliche und verwaltungsgerichtliche Verfahren gilt. Damit findet die gesetzliche Regelung Anwendung auf sämtliche „Anfechtungsfristen“ des BVergG 2018 (sowie der jeweiligen Vergabe-Nachprüfungsgesetze der Länder), also die Fristen zur Einbringung von Nachprüfungs- und Feststellungsanträgen sowie von Anträgen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (vgl §§ 343 und 354 Abs 2 sowie § 350 Abs 3 BVergG 2018).
    Keine Anwendung findet die Regelung jedoch auf Fristen, die vom (öffentlichen) Auftraggeber festgesetzt werden. Nicht erfasst sind damit insbesondere Teilnahmeantrags- und Angebotsfristen, aber auch allfällige vom Auftraggeber gesetzte Fristen zur Nachreichung von Unterlagen oder Aufklärung von Unklarheiten. Ebenfalls nicht betroffen von der gesetzlichen Anordnung ist auch die Zuschlagsfrist (vgl § 131 sowie § 297 BVergG 2018); wünscht der Auftraggeber eine über die festgelegte Zuschlagsfrist hinausgehende Bindung der Bieter an ihre Angebote, hat er sie um Erstreckung dieser Bindungswirkung zu ersuchen.
  • Tatsächlich wirksame Anfechtung von Zuschlagsentscheidungen nur innerhalb der Stillhaltefrist
    Besonders hervorzuheben ist, dass die gesetzliche Regelung nicht auf die Stillhaltefrist anwendbar ist, eine Stillhaltefrist kann daher in dem betreffenden Zeitraum sehr wohl enden. Dies ist insofern bedeutsam, als sohin nach Bekanntgabe einer Zuschlagsentscheidung zwar die Anfechtungsfrist unterbrochen ist, nicht aber die Stillhaltefrist. Daher kann nach Ablauf der Stillhaltefrist und während der noch laufenden (weil unterbrochenen) Anfechtungsfrist der Zuschlag erteilt werden. Faktisch bleibt es somit dabei, dass Zuschlagsentscheidungen innerhalb von 10 Tagen (bzw 15 Tagen bei Übermittlung auf dem Postweg) ab Übermittlung angefochten werden müssen, wenn die Zuschlagserteilung an den für den Zuschlag in Aussicht genommenen Bieter verhindert werden soll.
  • Wegfall der Präklusionswirkung
    Ein weiterer Umstand macht überdies deutlich, dass die Regelungen des COVID-Fristengesetzes nicht auf vergaberechtliche Besonderheiten Bedacht nehmen. Die Unterbrechungswirkung bezüglich der Anfechtungsfristen bewirkt im Vergabeverfahren nämlich, dass keine Präklusionswirkung mehr eintreten kann. Üblicherweise müssen etwa Ausschreibungsunterlagen innerhalb der vergabegesetzlich festgelegten Frist angefochten werden, widrigenfalls sie bestandsfest werden und allfällige Rechtswidrigkeiten zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr geltend gemacht werden können. Nunmehr jedoch, wenn die Frist zur Anfechtung der Ausschreibungsunterlagen nicht endet, kann die Ausschreibungsunterlage – ebenso wie sämtliche andere dazwischenliegenden gesondert und nicht gesondert anfechtbaren Entscheidungen – noch mit der Anfechtung der Zuschlagsentscheidung gemeinsam bekämpft werden. Dadurch geht insbesondere für öffentliche Auftraggeber, aber auch für die am Verfahren teilnehmenden (anderen) Bieter, die bislang gewohnte Rechtssicherheit in erheblichem Ausmaß verloren.

2. Handlungsempfehlungen…

2.1. … für (öffentliche) Auftraggeber

Die für (öffentliche) Auftraggeber wohl bedeutsamste Konsequenz der neuen Fristenregelung ist im Wegfall der Präklusionswirkung gelegen. Anders als gewohnt können sich Auftraggeber nun nicht mehr darauf verlassen, dass Ausschreibungsunterlagen, die nicht innerhalb der vergabegesetzlich vorgesehenen Frist angefochten werden, ungeachtet allfälliger Rechtswidrigkeiten „bestandsfest“ geworden sind.

  • Um nachteilige, insbesondere zeitverzögernde Folgen der neuen Fristenregelungen möglichst hintanzuhalten, ist Auftraggebern anzuraten, Vergabeverfahren möglichst rasch durchzubringen, da sich ohnehin erst am Ende zeigen kann, ob das Verfahren hält oder nicht und gegebenenfalls neu durchgeführt werden muss.
  • Der Durchführung von offenen Verfahren ist gegenüber zweistufigen Verfahren – soweit dies aufgrund des konkreten Beschaffungsvorhabens möglich ist – der Vorzug zu geben. Dies insbesondere deshalb, da im offenen Verfahren deutlich weniger gesondert anfechtbare Entscheidungen, die Gelegenheit für (spätere) Anfechtung geben, anfallen. Auch die kürzere Dauer von offenen Verfahren gegenüber zweistufigen Verfahren erweist sich nunmehr als entscheidender Vorteil.
  • Weiters sollten Auftraggeber darauf Bedacht nehmen, dass die bislang gewohnte Vorgehensweise des „Abwartens“ einer Anfechtungsfrist nicht mehr zielführend ist und daher etwa Ausscheidensentscheidungen zeitgleich mit der Zuschlagsentscheidung bekannt gegeben werden sollten. Ausscheidensentscheidungen können nach der neuen Fristenregelung ohnehin nicht rechtskräftig werden, weshalb die Zuschlagsentscheidung jedenfalls auch jenen Bietern bekannt gegeben werden muss, die bereits eine Ausscheidensentscheidung erhalten haben. Ebenso bringt es auch keinen Mehrwert, nach allfälligen „sonstigen Festlegungen während der Angebotsfrist“ eine „Stillhaltefrist“ zu wahren, da auch insofern keine Bestandskraft eintreten kann.

2.2. … für Bieter

Bieter sind insbesondere darauf aufmerksam zu machen, dass die Unterbrechung der Anfechtungsfrist betreffend die Zuschlagsentscheidung faktisch nicht dazu führen muss, dass die Zuschlagsentscheidung über die vergabegesetzlich festgelegte Frist hinaus angefochten werden kann. Wenn nämlich der Auftraggeber nach Ablauf der Stillhaltefrist den Zuschlag erteilt (was weiterhin rechtmäßig ist – und nebenbei bemerkt auch sein muss, sonst wäre es mit der neuen Rechtslage nicht mehr möglich, ein Vergabeverfahren rechtskonform zu Ende zu führen), ist ein dagegen erhobener Nachprüfungsantrag – obwohl rechtzeitig – unzulässig, da eben schon der Zuschlag erteilt wurde. Allenfalls könnte überlegt werden, ob ein solcher Nachprüfungsantrag in einen Feststellungsantrag „umgedeutet“ werden kann bzw die Stellung eines Feststellungsantrags noch möglich ist. Dagegen spräche wohl der Wortlaut des § 354 Abs 3 BVergG 2018, wonach ein Feststellungsantrag unzulässig ist, sofern der behauptete Verstoß im Rahmen eines Nachprüfungsantrags hätte geltend gemacht werden können. Umgekehrt könnte man im Wege einer rechtsschutzfreundlichen Interpretation der maßgeblichen Rechtslage sehr wohl auch zu dem Ergebnis gelangen, dass das Ausschöpfen gesetzlich eingeräumter Anfechtungsfristen nicht zur Unzulässigkeit des Feststellungsantrags führen darf. (Rechts-) Sicherheit gibt es aber auch in dieser Hinsicht keine mehr.

3. Disclaimer

Dieser Beitrag stellt lediglich eine allgemeine Information dar und ersetzt keine Rechtsberatung. Die Haslinger / Nagele Rechtsanwälte GmbH übernimmt keinerlei Haftung für Inhalt und Richtigkeit dieses Beitrages.